
Inhaltsverzeichnis:
- Wann darf ein Verband abmahnen?
- Und was ist mit dem IDO-Verband?
- Das Hin und Her des LG Berlin zur Aktivlegitimation des IDO-Verbandes
- Praxistipp: Abmahnungen einzelfallabhängig überprüfen
1. Wann darf ein Verband abmahnen?
In Deutschland gibt es keine staatliche Behörde, die gegen Wettbewerbsverstöße vorgeht. Vielmehr werden Verstöße gegen das Wettbewerbsrecht u.a. von bestimmten rechtsfähigen Verband geltend gemacht. Doch nicht jeder rechtsfähige Verband darf einfach so Abmahnungen aussprechen. Nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) müssen einige Voraussetzungen erfüllt sein, damit ein Verband berechtigt ist, Händler für Wettbewerbsverstöße abzumahnen (sog. „Aktivlegitimation“). Konkret muss es sich bei dem Verband nach § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG um einen
- rechtsfähigen Verband zur Förderung gewerblicher oder selbstständiger beruflicher Interessen,
- dem eine erhebliche Zahl von Unternehmern angehört, die Waren oder Dienstleistungen gleicher oder verwandter Art auf demselben Markt vertreiben,
- der insbesondere nach seiner personellen, sachlichen und finanziellen Ausstattung imstande ist, seine satzungsmäßigen Aufgaben der Verfolgung gewerblicher oder selbstständiger beruflicher Interessen tatsächlich wahrzunehmen,
handeln.
Sämtliche Voraussetzungen müssen dabei kumulativ vorliegen. Liegt eine der Voraussetzungen nicht vor, darf der Verband keine Abmahnungen aussprechen. Im Streitfall vor Gericht muss der Verband zudem nachweisen und beweisen, dass er den Anforderungen entspricht. Entspricht der Verband den Anforderungen nicht bzw. kann er sie im Streitfall nicht beweisen, fehlt ihm die Befugnis Klage zu erheben.
2. Und was ist mit dem IDO-Verband?
Der IDO-Verband ist ein rechtsfähiger Verband, dessen Vereinszweck „die umfassende Förderung insbesondere der rechtlichen und wirtschaftlichen Interessen deutscher Online-Unternehmer und Online-Freiberufler“ ist. Ausweislich seiner Internetseite verfügt der IDO-Verband aktuell über 2.100 unmittelbare Mitglieder aus verschiedenen Branchen. Die ersten zwei Voraussetzungen des § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG erfüllt der IDO-Verband somit.
Kernpunkt der Diskussionen um die Aktivlegitimation des IDO-Verbandes ist damit die dritte Voraussetzung, nämlich ob der IDO-Verband nach seiner personellen, sachlichen und finanziellen Ausstattung imstande ist, seine satzungsmäßigen Aufgaben tatsächlich wahrzunehmen. Angezweifelt wird dabei insbesondere seine personelle Ausstattung, sprich die fachliche (d.h. wettbewerbsrechtliche) Qualifikation des IDO-Verbandes.
3. Das Hin und Her des LG Berlin zur Aktivlegitimation des IDO-Verbandes
Insbesondere das LG Berlin musste – vor allem in der jüngeren Vergangenheit – mehrfach über die Legitimation des IDO-Verbandes, Abmahnungen auszusprechen, entscheiden.
I. LG Berlin bejaht Aktivlegitimation des IDO-Verbandes
Das LG Berlin hatte die Aktivlegitimation des IDO-Verbandes noch Anfang des Jahres bejaht (Beschluss vom 02.01.2017, 91 O 146/16). Auch eine andere Kammer des LG Berlin attestierte dem IDO-Verband nur kurze Zeit später mit Urteil vom 01.03.2017 (97 O 94/16) eine ausreichende personelle Ausstattung und somit die Legitimation, Abmahnungen auszusprechen.
II. LG Berlin verneint Aktivlegitimation des IDO-Verbandes
Für Aufruhr sorgte aufgrund dieser einheitlichen Rechtsprechung der Beschluss des LG Berlin vom 4. April 2017 (103 O 91/16). Darin stellte das LG Berlin fest, dass dem IDO-Verband die erforderliche personelle Ausstattung fehle, um seine satzungsmäßigen Aufgaben tatsächlich wahrzunehmen. Dabei argumentierte die Kammer insbesondere damit, dass der mit der Abmahnung betrauten Geschäftsführerin die ausreichende fachliche Qualifikation fehle. Dazu heißt es konkret:
„Inwieweit eine so ausgebildete Kraft in der Lage sein soll, Wettbewerbsverstöße zu erkennen und zu bewerten, ist für die Kammer nicht nachvollziehbar. Zwar kann die erforderliche wettbewerbsrechtliche Qualifikation auch durch Berufserfahrung erworben werden. Auch dazu trägt der Kläger jedoch nichts vor.“
Mittlerweile hat der IDO-Verband gegen die Entscheidung des LG Berlin Berufung eingelegt und zu personeller Ausstattung inhaltlich ausführlich vorgetragen.
III. Und wieder auf Anfang…
In einem anderen Verfahren hat das LG Berlin nun erneut eine Aktivlegitimation des IDO angenommen (Beschluss vom 09.05.2017, 103 O 34/17). Konkret heißt es dort: „Die Bedenken der Kammer hinsichtlich der ausreichenden personellen Ausstattung des Antragstellers sind durch den Vortrag im Schriftsatz vom 2.5.2017 ausgeräumt.“
IV. Bewertung der „Ausreißer“-Entscheidung des LG Berlin vom 4. April 2017
Doch welche Bedeutung kommt der Entscheidung des LG Berlin vom 4. April 2017 nun konkret zu? Geht die „IDO-Abmahnwelle“ weiter und handelt es sich bei der Entscheidung um einen ziemlich langweiligen Aprilscherz? Oder darf der IDO-Verband angesichts der Entscheidung des LG Berlin nicht mehr abmahnen?
Ein Ende der IDO-Abmahnwelle ist wohl (leider) nicht in Sicht. Bei der Entscheidung des LG Berlin vom 4. April 2017 handelt es sich nämlich um eine „Ausreißer-Entscheidung“, aus der sich keine pauschalen Rückschlüsse auf die Aktivlegitimation des IDO-Verbandes ableiten lassen.
Dies ist zum einen darauf zurückzuführen, dass das LG Berlin den IDO-Verband vor Erlass der Entscheidung zu dem Aspekt der personellen Ausstattung nicht angehört hatte.
Zum anderen ist der Beschluss des LG Berlin in hohem Maße einzelfallbezogen. Das LG Berlin attestierte dem IDO-Verband seine fehlende fachliche Qualifikation insbesondere aufgrund eines Versäumnisses des IDO-Verbandes im konkreten Einzelfall. Konkret hatte der IDO-Verband von dem Händler, der erneut gegen Wettbewerbsrecht verstoßen hatte, keine – wie sonst üblich – neue strafbewehrte Unterlassungserklärung (mit erhöhter Vertragsstrafe) gefordert. Erst nach einem wiederholten Wettbewerbsverstoß des Händlers im Juli 2016 setzte der IDO-Verband eine neue Unterlassungserklärung auf. Da der Händler sich dieses Mal jedoch weigerte, landeten beide Parteien schließlich vor dem LG Berlin.
Das LG Berlin stufte das Versäumnis des IDO-Verbandes, vom Händler die Abgabe einer neuen Unterlassungserklärung zu fordern, als Zeichen für seine fehlende fachliche Qualifikation ein. Dazu heißt es im Beschluss des LG Berlin: „Dass der Geschäftsführerin die ausreichende wettbewerbsrechtliche Qualifikation fehlt, zeigt sich deutlich am vorliegenden Fall. Ihr war offensichtlich nicht bekannt, dass bei einem Verstoß gegen eine Unterlassungserklärung nicht nur die Vertragsstrafe verwirkt ist, sondern dass erneut ein Unterlassungsanspruch entsteht, anderenfalls sie zusammen mit der Forderung nach Zahlung der Vertragsstrafe zugleich eine neue Unterlassungserklärung mit einer höheren Vertragsstrafe gefordert hätte…“
Dass es sich bei der Entscheidung des LG Berlin um eine „Ausreißer“-Entscheidung handelt, wurde auch durch den Beschluss des LG Berlin vom 09. Mai 2017 (103 O 34/17) deutlich, in dem die Kammer eine Aktivlegitimation des IDO-Verbandes ausdrücklich bestätigt hatte.
4. Praxistipp: Abmahnungen einzelfallabhängig überprüfen
Leider können sich Online-Händler keine Hoffnungen auf ein Abflachen der „IDO-Abmahnwelle“ machen. Das LG Berlin hat wiederholt bestätigt, dass der IDO-Verband berechtigt ist, Abmahnungen auszusprechen. Die Entscheidung des LG Berlin vom 4. April 2017 ist als „Ausreißer“-Entscheidung zu werten, aus der sich keine pauschalen Rückschlüsse auf die Aktivlegitimation des IDO-Verbandes herleiten lassen. Dennoch zeigt die Entscheidung, wie wichtig es ist, jede Abmahnung einzelfallabhängig auf ihre Schlüssigkeit hin zu prüfen.
